Der Extremkünstler Michael WERNER bedruckte in 30 Stunden nonstop ein über zweihundert Meter langes Bild mit hunderten von Stierköpfen. WERNER will mit seinen Aktionen unserer Gesellschaft mit ihrem Tunnelblick auf extreme Leistungen den Spiegel vorhalten.
Die gigantischen Stiere können im Rahmen der Tunnel - Art, einer zeitgenössischen Kunstausstellung noch bis zum 23. Juli im Schlossbergtunnel in Tübingen besichtigt werden.
Extremkünstler klont Picasso
Picasso schuf im Jahre 1943 aus einem Fahrradstattel und einer Lenkstange seinen weltberühmten Stierkopf. Das Schaffen von PICASSO ist nach WERNERS Meinung bestens geeignet, um übertroffen zu werden: "Sein gigantischer, übermenschlicher Ruhm provoziert noch größere Kunstwerke. Und größer bedeutet heutzutage auch besser." Mit dem 220 Meter langen Bild stellte WERNER eine im Kunstbetrieb einmalige Höchstleistung auf. WERNER musste bis an die Grenzen seiner körperlichen Belastbarkeit gehen, um nach 30 Stunden Arbeit das Ende des Tunnels zu erreichen.
Der Schlossbergtunnel, ein von Fußgängern und Radfahrern viel genutzter Zugang zur Altstadt, bot mit seinen über 200 Metern Länge den angemessenen Rahmen für Hochleistungskunst. Hier fand WERNER vor Regen und Wind geschützt, geeignete Voraussetzungen, um eine im Kunstmarkt einmalige Bestleistung aufzustellen. Die Tübinger Schlossbergunterführung wurde im Rahmen der TÀrt zur wahrscheinlich längsten Tunnelgalerie der Welt umfunktioniert.
Höher, schneller, weiter
WERNER ist Gründer einer neuen Kunstrichtung, dem Superlativismus. Er
hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, berühmte Künstler, entsprechend dem
Motto unserer Leistungsgesellschaft "höher, schneller, weiter", zu übertreffen.
Wir leben in einer
Epoche, in der Rekorde im Pfahlsitzen und Dominosteinbauen breite
Beachtung finden. Der heutige Künstler hat die Verpflichtung, das starke
gesellschaftliche Verlangen nach Größtem und Längstem zu reflektieren.
Die Kunstaktion in Tübingen hält unserer Leistungsgesellschaft mit ihrem Tunnelblick in Richtung Höchstem
und Längstem einen Spiegel vor.
Rekordsüchtig statt kreativ
WERNER legt größten Wert darauf, dass sein Projekt "Picassos Stier
geklont" ohne kreativen Anspruch ausgeführt wird. Ja, WERNER verweigert
sich konsequent jeder Kreativität. Dies ist ihm so wichtig, da er eine
Gesellschaft repräsentieren will, die, geprägt von stetig steigendem
Medienkonsum, sich vielfach nur noch von Superlativen ansprechen lässt. Seien
es Extremsportarten, gigantische Shows oder der Drang, ins Guinessbuch der
Rekorde zu kommen. So geht WERNER selbst bei seinen Kunstaktionen an die Grenzen
der körperlichen Belastbarkeit, ähnlich wie die zunehmende Zahl von
Downhillracer, Extremclimber oder Himalajaexpediteure, die nicht selten Kopf und
Kragen riskieren, um ein wenig Anerkennung von ihren Zeitgenossen zu ernten. Nicht schöpferisches Schaffen, sondern rekordsüchtiges,
leistungsorientiertes Streben kennzeichnen unsere Gesellschaft und sind deshalb
auch in WERNERS Werken tonangebend. WERNER will nicht kreativ sein, sondern nur
besser als andere Künstler.
Kunst darf sich nicht im Tunnel verstecken
Nur wenige Menschen finden den Zugang zur zeitgenössischen Kunst. Ein Teil der Schuld an diesem Zustand trägt sicherlich der elitäre Kunstbetrieb. Es gilt die Menschen nicht alleine zu lassen mit den Bildern, sondern Ihnen im Alltag entgegenzukommen. Deshalb stand WERNER während der Kunstaktion als Ansprechpartner den vorbeikommenden Zuschauer Rede und Antwort. Auch der Gang aus den Galerien heraus, hinein in die menschenüberfluteten Straßen und Tunnel kann Brücken zur zeitgenössischen Kunst schlagen, Dialoge beginnen und die unerfreuliche Isolation der Kunst abbauen.
Klonen - Symbol der Technisierung unserer Gesellschaft
Die totale Technisierung bestimmt weite Teile unseres Lebens. Die Verwendung des Begriffs "klonen" weist auf die allgegenwärtige Bedeutung von Technik und Forschung mit ihren gigantischen Möglichkeiten hin. Unreflektierter Machbarkeitswahn zwingt zur aktuellen Diskussion über ethische Grenzen und negative Auswüchse neuester Errungenschaften. Die Bildbetrachter werden von den abgebildeten Köpfen förmlich angestiert, als wollen die Stierköpfe - Sinnbild für die Kraft der Natur - die Menschen zu einem verantwortlichen Umgang mit Natur und Welt mahnen.
Alles im Leben ist vergänglich
Der Anblick des komplett bedruckten Tunnels wird den Besuchern der TÀrt
in Tübingen nur zwei Wochen lang möglich sein. Anschließend wird das
Bild als Ganzes vernichtet. Nur in der
Erinnerung und auf Bildträgern kann der Gesamteindruck gespeichert werden. Der
Schlossbergtunnel verwandelt sich dann wieder in eine unscheinbare, vielbenutzte
Unterführung.
Die Veranstalter der TÀrt
Carsten Kauth, Jürgen Leschinger, Kanwar Sathi und Angelika Weller-Sathi
wollen vor allem Eines:
ernsthafte Kunst mitten ins städtische Leben Tübingens bringen, auf die Straße,
unter die Leute.
Als angemessener Rahmen wurde der Schlossbergtunnel gewählt, ein viel genutzter, eher
unattraktiver Zugang zur Altstadt, der zur Galerie aufgewertet die Aktion
wetterunabhängig macht, der mit seiner Länge von über 200 Metern zum
Verweilen und Betrachten, zum Staunen und Fragen geradezu einlädt.
Mit Unterstützung durch das Kulturamt der Universitätsstadt Tübingen setzen
die Veranstalter einen neuen Impuls. Zwei Tage Galerie und eine
Kunst-Aktions-Nacht im offenen öffentlichen Raum holen die Kunst vom Sockel
und machen sie zu dem, was sie eigentlich schon immer war und ist:
Lebendiger Ausdruck und persönlicher Dialog.